Samstag, 24. Januar 2009
Dear Diary...
Ich stelle mir gerade die Frage, wozu ich Tagebuch schreibe. Nein, damit mein ich nicht dieses Weblog hier, sondern das gute, alte, papierwahlweisemitoderohnelinienbeinhaltende Tagebuch.
Angefangen habe ich damit, als ich schätzungweise zwölf Jahre alt war. Ich kann mich sogar noch an den Kauf meines ersten Tagebuchs erinnern. Meine Eltern sind mit mir und meinen Brüdern nach Rothenburg ob der Tauber gefahren, um uns einen Teil der dortigen Festspiele zu zeigen. Tja, vom kulturellbildenden Teil ist leider nichts hängengeblieben, dafür ist mir umso besser in Erinnerung geblieben, dass wir uns dort mit Schneebällen eingedeckt haben. Soweit ich mich erinnere, ist das eine lokale Leckereien aus Teig wahlweise mit Schokoüberzug oder mit Puderzucker oder mit diversen Likörchen oder oder oder... so überzeugend fand ichs dann aber doch nicht.
Tja und dann folgte wohl einer der schicksalhaftesten Momente meines Lebens. Wir haben einen kleinen schnuckligen Laden betreten und ich bin straight ahead auf mein erstes Tagebuch zugerannt. Ich würde ja jetzt gerne schreiben: Magisch angezogen von den vielen leeren Seiten, die ich vor meinem inneren Auge schon in wahrer Schreibsucht mit Worten der Leidenschaft bedeckte... äh nein, ich fand den Teddybär auf dem Cover sooo süüüüüß. Ich sollte vielleicht dazu sagen, dass ich zu dieser Zeit Teddybären sammelte. Heute bin ich übrigens froh, dass keiner meiner Sammelticks die Pubertät überlebt hat. Jedenfalls hab ich mir das Büchlein geschnappt und bin zu meiner Mutter hingerannt, hab's ihr unter die Nase gehalten und mit großen Kulleräuglein gefragt, ob ich es haben darf. Leider ziehen die Kulleräugelchen bei Mami nicht so gut wie bei Papi... infolgedessen wurde mein auserwähltes Heiligtum erstmal kritisch beäugt und mir dann mit zweifelndem Blick unterstellt: sowie ich dich kenne, schreibst du doch nach drei Tagen sowieso nicht mehr rein!!
Nachdem ich für ca. 3,274 Millisekunden tief in mich gegangen war und meine niedersten Beweggründe überdacht hatte, meinte ich trocken: Kann schon sein, aber der Bär ist doch soooo süüüüß. Na ja, das Ende habe ich ja bereits vorweggenommen: Mami wollte Töchterlein glücklich sehen und hat anstandslos bezahlt...
Ich erinnere mich auch noch schemenhaft an meine ersten Einträge: Der erste hatte ungefähr den Inhalt: Ich weiß doch gar nicht, wie man in ein Tagebuch schreibt. Gibt's da bestimmte Dinge zu beachten? Ach, ich schreib jetzt halt einfach mal, wie ich denke...
Der Folgeeintrag wurde dann direkt zur bestsellerverdächtigen Eingebung: Heute kam ich aus der Schule und um zwei Uhr musste ich den Meerschweinchenkäfig saubermachen, der hat schon voll gestunken.

Nun ja, heute, ca. 14 Jahre später, kann ich guten Gewissens behaupten, meine Einträge haben merklich an Qualität gewonnen. Und außerdem kann ich mit Fug und Recht feststellen, dass meine Mutter einmal in ihrem Leben nicht Recht behielt, was meine zugegebenermaßen stellenweise stark ausgeprägte Faulheit angeht. Denn sie schrieb und schrieb und schrieb, füllte Seite um Seite und Buch um Buch. Mit 14 Jahren beschloss sie, ihr Tagebuch vielleicht so mit 16 Jahren zu veröffentlichen, damit sie anderen jungen Mädchen, die in einer ähnlich verzweifelten Situation steckten, helfen konnte. Denn sie würden wissen, sie waren nicht allein...und so. Leider wurde dann nicht, wie geplant, aus mir die jüngste Bestsellerautorin Deutschlands... aber ich glaube, die Zeit war damals für meine Fortschrittlichkeit einfach noch nicht reif. Heute veröffentlicht doch jeder Depp so eine Art Tagebuch, auch gerne mal als bis zur Unkenntlichkeit aufgeplusterte Biografie getarnt. Ich glaube, ich hätte mit 13 schon wesentlich mehr zu erzählen gehabt und vor allem wesentlich essentiellere Dinge als Effenberg & Co.

In der achten Klasse hat mir meine Deutschlehrerin dann schließlich eine Karriere als Schriftstellerin vorausgesagt. In der zwölften Klasse habe ich als Wahlfach Literatur belegt und als ich meine erste Geschichte vortrug, saßen meine lieben Mitschüler (von denen mich übrigens die entscheidende Mehrheit nicht ausstehen konnte) mit offenen Münder und großen Augen da und haben mir zugehört...

Das Ende der Geschichte ist noch offen. Ich würde immer noch gerne irgendwann ein Buch veröffentlichen. Aber wenn ich mir ansehe, wie vor allem auch im Internet jeder Depp meint, eine Leserkritik veröffentlichen zu müssen, ohne auch nur im Geringsten Ahnung von der Materie zu haben, neige ich fast dazu, mir das Ganze noch einmal zu überlegen. Ich nehme mir selten das Recht heraus, das literarische Werk eines anderen zu be- und schon gar nicht zu verurteilen, obwohl mich ein abgeschlossenes Germanistikstudium dafür vielleicht mehr qualifizieren würde, als es die Mehrheit dieser selbsternannten Literaturpäpste ist. Und wenn dann stelle ich es nicht auf Plattformen wie Amazon.de & Co. Ich denke nach wie vor, dass Geschmäcker verschieden sind und wenn mir ein Buch nicht gefällt, gefällt es vielleicht zehn anderen. Im Übrigen beziehe ich mich gerade auf in irgendeiner Art ernsthafte literarische Versuche und nicht auf oben bereits erwähnte Fließbandbiografien & Co, die rein darauf ausgerichtet sind, Profit zu scheffeln und die jeweilige Person in ein besonders farbenprächtiges Licht zu rücken.

Dass ich die Bücher nicht öffentlich verurteile, heißt natürlich noch lange nicht, dass ich mir nicht meine eigene Meinung zu dem bilde, was in der heutigen Zeit auf den Markt geworfen wird. Und ich muss sagen, dass ich es mittlerweile wirklich unheimlich schwer finde, einen modernen Autor herauszufiltern, der schlussendlich wirklich was zu sagen hat und das auch noch gut verpacken kann. Und da kommt man unweigerlich ins Grübeln: Kannst du wirklich schreiben? Oder bist du nur einer von den geschätzten 200 Mio., die sich einbilden, dass sie es könnten?! Hast du der Welt wirklich was mitzuteilen, das ihr noch nicht in 5398 anderen Varianten vorliegt?! Und kannst du ihr das so mitteilen, dass es gerne gelesen und dann auch noch verstanden wird?!
Andererseits: sucht sich ein Buch nicht letztlich immer den Weg auch zu denjenigen, die wissen, wovon man schreibt und warum man davon schreibt?
Ich werde es vermutlich erst wissen, wenn ich es probiert habe. Daher habe ich den Plan mal noch nicht endgültig zu Grabe getragen.

Wie gut, dass ich mal wieder nicht abgeschweift bin. Aber nun werde ich doch noch kurz auf die Eingangsfrage zurückkommen: Auch wenn ich mittlerweile seit 14 Jahren Tagebuch schreibe, habe ich das nicht kontinuierlich getan. Vielleicht werde ich auf die Gründe noch irgendwann anders zu sprechen kommen...vielleicht auch nicht. Aber mein Tagebuch ist meine Art, belastende Dinge aufzuarbeiten und loszulassen. Ich bin ein sehr impulsiver Mensch und ich explodiere dann mal kurz schriftlich und dann ist es auch wieder gut. Oft ist drei Tage später schon vergessen, worüber ich mich zuvor zwei Stunden ausgelassen habe. Dumm nur, wenn es dann in Hände fällt, die es nicht richtig zu interpretieren wissen. So vor Kurzem geschehen - und es hätte mich beinahe eine der wichtigsten Personen in meinem Leben gekostet.

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