Sonntag, 8. Februar 2009
Die Kunst des Nichtdenkens
Gestern Abend war ich ab 20 Uhr so müde, dass mein Hirn allenfalls noch auf Notstrom lief. Ich lag im Bett, Laptop auf den Beinen, ein offenes ICQ-Fenster, das ich phasenweise mit Schweigen füllte, weil mir das Denken abhanden gekommen war. Aber das Einschlafen kam nicht in Frage, bis mir um 22 Uhr eine höhere Macht die Lichter ausknipste.

Ich habe eine stressige Woche hinter mir. Wahrscheinlich eine der stressigsten der letzten Jahre, wenn nicht überhaupt DIE stressigste meines Lebens, zumindest was Aktivitäten betrifft.

Und dann sitze ich also da und mir kommt es so vor, als würde ich alles, was ich tue, nur noch in Trance tun. Ich hatte das schon einmal. Mitten auf der Autobahn am Steuer nach drei Tagen nahezu ohne Schlaf - nicht so lustig.

Aber selten hatte ich so ein Glücksgefühl der vollkommenen Ausgeglichenheit. Mir ging es gut. Das Leben war schön. Ich war glücklich. Und das wollte ich festhalten. So lange, wie möglich. So fest, wie möglich.

Und heute sitze ich da, immer noch müde, weil viel zu früh erwacht und mit leichten Kopfschmerzen. Und ich frage mich, woher dieses Gefühl wohl gekommen sein mochte. Die Antwort war gar nicht so schwer: Ich habe wieder zu meiner Natur zurückgefunden, ohne wieder in meine Natur zu verfallen.

Got it?

Die letzten Jahre waren hart. Zwischendurch hab ich mich von mir selbst entfremdet - hätte mich beinahe verloren. Oder hab ich das? Ich habe in den Spiegel gesehen und mich selbst nicht mehr erkannt. Allenfalls noch verzerrte Schatten meiner alten Persönlichkeit wahrgenommen. Ich habe mich vom Wind hin und her schieben lassen, ohne zu wissen, wo ich hin will und ob ich jemals ankomme. Ich war mir meiner Selbst nicht mehr bewusst, ergo zerbröselte mein Selbstbewusstsein in kleine Häufchen fahler Asche.

In den schlimmsten Zeiten musste ich mich selbst schützen. Irgendwie. Und ich habe einen Weg gefunden. Ich habe aufgehört, zu denken. Ich habe viel geschlafen, wobei das dank regelmäßiger Träume auch nicht immer das entspannendste Mittel der Wahl war. Ich habe meinen Tag mit stupiden Tätigkeiten gefüllt. Nicht mehr gelesen, nicht mehr geschrieben. Beides hätte mich zwangsläufig zum Denken geführt. Ich habe mich komplett gegen mein Naturell gestellt, das sich darüber definierte, alles zu zerdenken, bis ins Kleinste zu analysieren. Vor allem, wenn es um zwischenmenschliche Dinge ging.

In den letzten ein bis zwei Jahren habe ich mir mein Leben Stück für Stück zurückerobert. Aber alles blieb ungewiss, unter einer schwammigen Decke. Schreiben und lesen gehören wieder zu mir. Denken ist wieder ein Teil von mir. Ich konnte mich im Spiegel wieder erkennen, aber das Bild wurde nicht ganz scharf.

Dann kam die letzte Woche. Sie hat mir das Denken über mich und mein Leben für kurze Zeit auf ganz natürliche Weise geklaut. Ich kam einfach nicht dazu. Und plötzlich war ich wieder da.

Gestern Abend stand ich in der Dämmerung am Bodensee und habe meinen Blick übers Wasser gleiten lassen. Ein wohliges Gefühl von Zufriedenheit und Ausgeglichenheit durchströmte mich. Ich stand im Einklang mit mir und der Welt. Und mir war klar: Ich habe mich wieder.

Ich bin wieder da. Ich bin wieder ich. Ich habe eine klare Meinung zu mir und den Dingen. Ich bin mir meiner Selbst wieder bewusst. Mein Selbstbewusstsein ist zurück. Gleichzeitig habe ich aufgehört, alles zu zerdenken. Ich nehme es hin, wie es kommt und mache daraus, was in meiner Macht steht.

Ich habe meine Natur wiedergefunden, ohne in meine Natur zu verfallen.

Got it!

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